ZeitErscheinung


Das Ensemble "Neue Dresdner Kammermusik" spielt improvisierte Musik, beschäftigt sich aber auch mit eigenen und fremden (indeterminierten) Kompositionen und Konzeptimprovisationen. Ausgehend von verschiedenen musikalischen Biographien hat sich ein gemeinsames Experimentierfeld ergeben und daraus wiederum eine Konzertreihe, innerhalb derer wir die folgenden Fragen untersuchen:
Ist Improvisation möglich? Will sagen: kann man ohne vorherige Vereinbarungen konzise musikalische Ereignisse herstellen? Gibt es eine Selbstbestimmtheit, eine Freiheit des Musikers jenseits des Ausagierens seiner individuellen Vorlieben? Kann Komplexität ohne Planung trotzdem noch ein sinnvolle musikalische Architektur ergeben? Gibt es eine Art über Musik zu reden, die sich nicht auf die Analyse von Geschehenem bezieht, sondern auf die Planung von zu Machendem, ohne dies festzulegen? Kann man Musik so herstellen, das die Zuhörer ihre Entstehung im Hören begreifen?
Im Rahmen dieser Untersuchungen experimentieren wir z.B. mit Regeln (wie sie ähnlich durch das Komponisten/Improvisatorenensemble "nuova consonanza" in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts angewendet wurden) oder auch mit Terminologien (wie sie immer wieder, auch in neuerer Zeit, entworfen wurden; sei es die Definition musikalischer oder besser akustischer Parameter in Cages "Variations I" oder Lachenmanns "Klangtypen der neuen Musik"). Unsere Konzertreihe stellt sich dann am jeweiligen Abend ein Thema, das mit diesen Mittel untersucht und anschließend diskutiert wird.
Ziel dieser Experimente ist eine Musik, die aus einer freien Begegnung von gleichberechtigten, autonomen Individuen entsteht und die in ihrer Entstehung durch die Zuhörer nachvollzogen werden kann, sodass diese auch ein analytisches Feedback geben können.
Zu diesem Konzept gehört natürlich die Arbeit mit Musikern, die nicht ständig zum Ensemble dazugehören. Aus der wiederholten Begegnung mit den Stipendiaten des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau (Sara Hubrich, London (Violine), Sergej Tchirkov, St.Petersburg (Akkordeon) und Jens Brülls, Münster (Schlagzeug)) in diesem und im letzten Jahr entstand nun die Idee, dieses vergrößerte Ensemble aus Musikern/Komponisten im Rahmen der "Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik" in der "Blauen Fabrik" zu präsentieren.

Chris Weinheimer


3. Oktober 2005
"19. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik"
Blaue Fabrik, Dresden.

Neue Dresdner Kammermusik:
Karoline Schulz (Flöten)
Chris Weinheimer (Violine, Flöten)
Frank Dresig (Piano)

Gäste:
Sara Hubrich, London (Violine)
Sergej Tchirkov, St.Petersburg (Akkordeon)
Jens Brülls, Münster (Schlagzeug)



Presse:

"Sensibel, vielfältig und immer persönlich.
Eine Spätschicht durfte einlegen, wer den Beitrag der "Dresdner Tage" zur improvisierten neuen Musik erleben wollte, die schon lange den Raum der Blauen Fabrik auf der Dresdner Prießnitzstraße füllt. Die Dresdner Komponistin und Flötistin Karoline Schulz ist in diesem Jahr eine der Stipendiaten des Europäischen Zentrums der Künste Hellerau. Da sie gleichzeitig Mitglied im Ensemble "Neue Dresdner Kammermusik" ist, das regelmäßig in der Blauen Fabrik Improvisationskonzerte durchführt, lag es nahe, einige der Stipendiaten und das Ensemble musikalisch aufeinandertreffen zu lassen.
Der Titel "Zeiterscheinung" zielte wohl auf die Vergänglichkeit der Improvisationen selbst, das Genre sollte hoffentlich nicht gemeint sein. Berührungsängste unter den Musikern gab es keine, denn zur Arbeit der Stipendiaten in Hellerau gehörte Improvisation selbstverständlich dazu, was vielen "biederen" Kammermusikkursen gut zu Gesichte stünde. Die daraus folgende Interaktion, das Verständnis füreinander konnte bereits im Stipendiatenkonzert am Abend zuvor bewundert werden. Somit gelang auch ein homogener, stimmiger Eindruck. Man hatte kaum den Eindruck eines "ad-hoc-Ensembles", sondern begegnete Musikern, die allesamt mit dem Begriff Improvisation sensibel und vielfältig, aber immer auch persönlich umgehen.
Dass sich im ersten, nahezu 60 Minuten währenden Stück dann doch einige undurchsichtige Passagen einschlichen, ist sicherlich den allesamt starken künstlerischen Persönlichkeiten zuzuschreiben. Fast zu ernst ging es da zu, die musikalische Dichte in dem heterogenen Ensemble aus mehreren Flöten, zwei Geigen, Akkordeon, Klavier und Schlagzeug war durchweg immens. Soli und Melodielinien hätten noch ein wenig stärker hervortreten können, außerdem war interessant zu bemerken, dass das Dresdner Ensemble vorrangig die leisen Nuancen beisteuerte, während die ebenfalls hervorragenden Musiker Sergej Tchirkow (Akkordeon), Sara Hubrich (Violine) und Jens Brülls (Schlagzeug) für deutliche, virtuose Akzente oder Pulsationen sorgten. Das zweite Stück dauerte dann nur wenige Minuten, wirkte wie ein Extrakt des ersten und sorgte damit für eine Abrundung des ebenso dramatischen wie entspannenden Abends." (Alexander Keuk, Dresdner Neueste Nachrichten, 6.10.2005)